Studie über die Wayuu-Indigenen in Kolumbien

Auszug der Masterarbeit «Der Einfluss der Desertifikation auf die Lebensgrundlage und Gesundheit der Wayuu-Indigenen in La Guajira, Kolumbien». Geschrieben von: Douglas Fernandes Gomes DaSilva – Universität Zürich

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass indigene Gruppen unter hohen Armutsraten leiden. Grund dafür sind Isolation und Marginalisierung, ein niedriges Bildungsniveau und hohe Raten von Unterernährung und Infektionskrankheiten. Die Entstehung dieser Probleme variiert von Region zu Region, und die Bekämpfung dieser Mängel ist Teil der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (SDG 2015).

Die Forschung in dieser Masterarbeit konzentriert sich auf die Wayuu-Bevölkerung, die in den Gemeinden Manaure und Uribia im kolumbianischen Departement La Guajira lebt. Berichten zufolge gibt es dort eine hohe Kindersterblichkeit und einen Mangel an Nahrung, Wasser und Gesundheitsdiensten infolge der wirtschaftlichen Isolation, Dürre und Desertifikation (Wüstenbildung) in der Region. Wir verwenden für diese Forschung einen Ansatz mit gemischten Methoden, der aus einer Reihe von Fragebögen mit objektiven und subjektiven Fragen besteht. Damit analysieren wir das Leben und die Meinungen der Wayuu-Indigenen aus Manaure und Uribia, die jeweils unterschiedliche Grade an Desertifikation erleben. Nach der Definition des Instituts für Hydrologie, Meteorologie und Umweltstudien (IDEAM) in Kolumbien definieren wir die unterschiedlichen Grade als Gebiete mit geringer, mittlerer oder hoher Wüstenbildung.

Wir führten eine umfassende Befragung von 131 Haushalten (63 in Manaure und 68 in Uribia) durch, darunter 230 Erwachsene und 293 Kinder. Als Ergebnis stellten wir sozioökonomische und gesundheitliche Ungleichheiten unter den Wayuu fest, die in Regionen mit unterschiedlichem Desertifizierungsgrad leben. Im Vergleich zu Menschen in Regionen mit niedrigeren Desertifikationsgraden haben Menschen in Regionen mit den höchsten Desertifikationsgraden das niedrigste Einkommen und Bildungsniveau – fast 80% haben nie eine Schule besucht und können weder lesen noch schreiben. Weiter haben sie die höchste Ernährungsunsicherheit und Wasserknappheit, sowie eine höhere Inzidenz von Unterernährung und Kindersterblichkeit.

Die Auswertung von 293 Kindern aus verschiedenen Regionen zweier Gemeinden von Alta Guajira zeigt, dass 45% dieser Kinder deutliche Anzeichen von Unterernährung aufweisen; und die meisten von Ihnen in Gebieten mit hoher Wüstenbildung leben. In diesen Gebieten gibt es auch die höchsten Prozentsätze für fieber-auslösenden Infektionen (z.B. bakteriellen Infektionen) und Krankheiten, die über Wasser Übertragen werden (z.B. Durchfall und Erbrechen). Dazu leiden 85% der befragten Erwachsenen unter täglichen Kopfschmerzen. Die geringe Anzahl von sowie der schlechte Zugang zu Gesundheitszentren verschlechtern die Situation weiter.

Diese Ergebnisse zeigen, dass von der gesamten Wayuu-Bevölkerung in Alta Guajira diejenigen, die im meist desertifizierten Gebiet leben, die schlechtesten sozioökonomischen und gesundheitlichen Bedingungen haben. Eine solche Aussage ist jedoch mit einer gewissen Zweideutigkeit behaftet, da die sozioökonomischen und ökologischen Faktoren, die die Wayuu-Indigenen beeinflussen, in enger Beziehung zueinander stehen können. Sind die Gebiete mit der höchsten Wüstenbildung auch die ärmsten und meist isolierten Gebiete? Werden die ärmsten und am stärksten benachteiligten Menschen tendenziell in Gebiete mit stärkerer Wüstenbildung gedrängt? Ausgehend von diesem Rätsel folgern wir, dass die wichtigste Folgefrage lautet: «Was sind die Hauptursachen für Armut und Gesundheitsproblemen unter den Wayuu? Sind diese Probleme auf anthropogene und/oder sozioökonomische Faktoren, oder auf das Klima (die Natur) selbst zurückzuführen?» Wir sagen, dass es sich um eine Kombination von beiden handelt.

Allgemein ist das Volk der Wayuu in Alta Guajira mit grossen Problemen konfrontiert: Es mangelt an Nahrung und Wasser, Infrastruktur, medizinischer Versorgung und Bildung, um den Dürren und der Wüstenbildung auf der Halbinsel zu begegnen. Die Bevölkerung, die in den Gebieten mit dem höchsten Grad an Wüstenbildung lebt, scheint jedoch im Vergleich zu anderen Gebieten viel mehr zu leiden. Dies ist der Fall aufgrund fehlender Niederschläge und folglich niedriger Bodenproduktivität, was ihre landwirtschaftlichen Praktiken erschwert. Folglich wird ihre Nahrungsmittel- und Wasserversorgung verunsichert und ihr sozioökonomischen Status weiter verschlechtert. Innerhalb der Wayuu-Gesellschaft sind es die Kinder, die am meisten von solchen Problemen Schaden nehmen. Bei detaillierten Untersuchungen von Wayuu-Kindern wurden Anzeichen von Proteinmangel (wie Wasseransammlungen in den Extremitäten und ein aufgeblähter Bauch (Kwashiorkor-Krankheit)), sowie verschiedene Anzeichen von Vitaminmangel (wie Hautausschläge und -unebenheiten, eingefallene und brüchige Nägel und Mundgeschwüre) festgestellt. Die Ernährung von Wayuu-Kindern ist reich an verarbeiteten Fetten und Zucker, aber arm an Proteinen, Nährstoffen, Vitaminen und Mineralien. Somit leiden die Kinder nicht unbedingt unter Hungersnot, sondern daran, dass die sozioökonomischen Ungleichheiten infolge der Desertifikation die Menge, Verfügbarkeit, Vielfalt und Zugänglichkeit frischer Lebensmittel verringert. In Gebieten mit hoher Wüstenbildung werden sie am Anbau von Feldfrüchten gehindert, so dass Fette, Weissmehl, getrockneter Mais und Panela (karamellisierter Zuckerrohrriegel) die wirtschaftlichsten und am weitesten verbreiteten Nahrungsmittel sind. Die mangelnde Nahrungsmittelvielfalt, Wasserverschmutzung und fehlende Gesundheitsdienste machen die Kinder anfällig auf Unterernährung, Krankheiten und schliesslich auch Kindersterblichkeit.

Ausgehend von den Ergebnissen dieser Masterarbeit sind Gebiete mit einem hohen Desertifikationsgrad die angemessensten Orte, jegliche Arten von Entwicklungsinitiativen zu starten. Die Bewohner dieser Gebiete benötigen erstens Zugang zu Trinkwasser für den persönlichen Verbrauch und für die landwirtschaftliche Bewässerung. Zweitens besteht eine Not für angemessene Strassen und öffentliche Verkehrsmittel, um Wayuu-Indigene mit den Märkten zu verbinden (damit sie ihr Handwerk vermarkten können) und die medizinischen Versorgung in der Nähe zu erhöhen. Am Wichtigsten ist es drittens, dass sie über ihre Rechte, Gesundheit, Wirtschaft und innovative Praktiken aufgeklärt werden, um ihnen langfristige und nachhaltige Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten. Sobald diese Grundbedürfnisse in die Praxis umgesetzt werden können, haben die Wayuu die Möglichkeit, innerhalb ihrer eigenen kulturellen Gegebenheiten zu leben und sich weiter zu entwickeln.

Douglas Fernandes DaSilva ist Teil des Mama-Tierra-Teams. Er wurde in Brasilien geboren und hat in den USA, Grossbritannien, Nepal, Uganda sowie in der Schweiz gelebt. Seine Leidenschaft für das Reisen hat ihn in 46 weitere Länder geführt. Douglas erwarb einen Bachelor-Abschluss in Biochemie an der University of Wisconsin und einen Master-Abschluss in Umweltwissenschaften an der Universität Zürich. Er hat die meiste Zeit seines Lebens in der wissenschaftlichen Forschung, sowie der Entwicklung und dem Aufbau einer Gesundheitserziehung für Entwicklungsländer gearbeitet. In seiner Masterarbeit beschäftigte er sich mit dem Zusammenhang zwischen der fortschreitenden Wüstenbildung in La Guajira in Kolumbien und der Beeinträchtigung der Lebensgrundlage und Gesundheit der Wayuu-Bevölkerung.

error: Content is protected !!